Das Frutigtuch

Text von Maria Lauber, gekürzte Fassung aus dem Frutigbuch

Seit Jahrhunderten war das Frutigtal das Land der Schafweiden. Die Tiere, eine Zier der einsamen, höchsten Hänge, schenkten dem armen, wie dem hablicheren Manne das warme Kleid, schafften ihm Arbeit und Brot. Sämtliche Wolle der Schafe wurde im Tal selbst verarbeitet, gesponnen und gewoben. Schon die Vorarbeiten zum Spinnen waren keine geringen. Die Schafe wurden vor der Schur mit kaltem Wasser sorgfältig gewaschen. Auf grossen Leintüchern wurde die Wolle zum Trocknen ausgelegt, manchmal auf dem Hausdach.Sollte daraus das Frutigtuch, das richtige, gefärbte «Bäretuech» gewoben werden, dann wurde die Wolle dreimal gekämmt. Im hölzernen Kamm, im «Chame», der hiezu gebraucht wurde, staken grosse, eiserne Spitzen. Die «Chäme» wurden in beide Hände gefasst und die darauf gelegte Wolle gekämmt. Diese Arbeit nannte man «cheme». Hierbei wurde die ganz lange von der kurzen Wolle geschieden. Sollte die Wolle von den Kämmen entfernt werden, so wurde der Kamm auf dem sogenannten Kämmstuhl (Chemstuel) in der Fude festgesteckt und die gerollte Wolle (di Tradla) herausgezogen. Die lange Wolle gab den Zettel oder Warf, die kürzere den Eintrag oder Wäfel (vgl. Wäfeler, Wäfler). Dieser kam noch auf den Streichstuhl (Strichstuel), wo er auf den mit eisernen Widerhaken besetzten «Strichcharte» «gestrichen» wurde wie späterhin auch alle kürzere Wolle.

Zeichnung einer Charterin im Frutigbuch Ausgabe 1938.

Die so gekämmte und gestrichene Wolle wurde in die «Farb» (Haus zur Farbe) gebracht, kalt geschwenkt und nochmals zum Kämmen gegeben. Dann kam beides, die Wolle für den Warf und die für den Wäfel an die Kunkel (a d’Choochla) zum Spinnen. Die Wolle wurde sehr fein gesponnen («wohl in den Fingern gespunnen und gedrehet»), so fein wie heute der mittelgrobe Nähfaden ist. «Dieses macht sie» (die Tücher) «ebenfalls glatt und nach hiesiger Sprache die Hurt oder das Bild deutlicher und ausgezeichneter».

Das war Arbeit für die langen Winterabende. Abend für Abend, bis um 10 Uhr und länger wurde gesponnen, in jedem Haus, von jeder Frau. Es spann und wob das Weib des Schuldenbäuerleins so gut wie (nach einem alten Verzeichnis) die Frau von Lehrer Däpp an Achseten und selbst die vom Grichtsäss Denzer im Adelboden. Denn hin und wieder spannen auch Männer. Da wurden auch die sogenannten «Chemaabena» (Kämmabende) veranstaltet. Abwechslungsweise kamen die Frauen bei einer ihrer Nachbarinnen zusammen. Dort stand mitten in der Stube der Tisch; drum herum stellte jede ihr mitgebrachtes Spinnrad auf und spann oder kämmte nun beim Schein der Ampel bis tief in die Nacht für ihre Nachbarin. Um Mitternacht gab es Kaffee mit Nidel, hin und wieder auch «es Schlücki» Branntwein. In hundert und einer Nacht wurde da gelacht, gesungen, erzählt, neue Geschichten und alte, ganz alte Geschichten. Lieder und Geschichten, die für einen Winter gut genug schienen – und doch, was gäben wir heute drum, wüssten wir sie alle, diese Lieder und die alten Sagen.

Zeichnung aus dem Frutigbuch Ausgabe 1938.

Die Färberei war dort, wo heute das alte Krankenhaus steht (seit 1907 das Spital in Betrieb ist, wird die «Farb» als Wohnhaus benutzt). Zum Färben der Wolle für «Bäretuech» wurde ausschliesslich blaue Farbe verwendet, Indigoblau. Nur sehr selten wurde auch ein Schwarz gebraucht, das vermutlich in der «Schwerzi» hergestellt wurde. Frau Fahrni an Reinisch bereitete es im Hause selbst mit Kupferwasser.

Als später weniger Schafe mehr gehalten und diese auch, zum Verdruss des Oberamtmannes, immer mit der Wolle ins Unterland verkauft wurden, begann man, immer grössere Mengen Wolle aus dem Wallis zu beziehen. Mehrere Händler, Wandfluh Christen in Frutigen und ums Jahr 1840 die Brüder Hänni und Christian Stoller von Kandersteg, kauften Wolle im Walhs und verkauften sie den Weberinnen. Anfangs des 19. Jahrhunderts wurden jährlich über 100 Zentner Wolle aus dem Wallis bezogen. Diese wurde aber nicht nur durch Fracht und Zoll sehr verteuert, sondern sie blieb auch an tatsächlichem Wert weit hinter der Wolle von Frutigschafen zurück. («Diese Tücher werden glätter und stärker von hiesiger Wolle, obschon einige Nichtkenner diejenigen von Walliswolle vorziehen, weil sie meinen, die Güte bestehe darin, dass sie rauh anzugreifen seien. Sie nehmen auch die blaue Farbe besser an und werden lebhafter.»)

Das Weben des Frutigtuches erforderte besondere Sorgfalt und Geschicklichkeit. War der Zettel gespannt und zum Weben bereit gemacht, wurde das Garn «bsengt». In einer alten Pfanne oder in einer «Bsengchele» wurden glühende Kohlen unter dem Zettel durchgeführt, damit die Härchen versengt wurden. Auch etwa am Tuch selber wurden die Härchen versengt. Der Zettel wurde geschlichtet. Mit einer Art Mehlpappe oder Stärke wurden mittelst zweier Bürsten von unten und von oben die Zettelfäden bestrichen, damit sie schön glatt zum Weben kämen. Der Webstuhl musste in der Wohnstube stehen, wenn sonst keine warme Kammer zur Verfügung stand, damit «der Schlicht» sofort trocknete. Das Weben des Frutigtuches erforderte einen feinen Kamm und starken Schlag. Letzteres hauptsächlich bewirkte die Festigkeit des Gewebes.

Das Weben selber war nicht leicht. Denn es musste mit drei Treten, «drüträttig», gearbeitet werden, manchmal sogar viertretig, während das Weben von Leinwand und Halblein nur zweitretig geschah. Aber durch dieses «drüträttige» Weben bekam das Frutigtuch gerade das, was es auszeichnete, es bekam ein Bild oder die «Hurt», diese feinen, schrägen Streifen, wie wir sie auch beim englischen Cheviot sehen.

Viel gewoben wurde in den Spissen, an Achseten und im Adelboden. Das gab auch den Fuhrleuten einigen Verdienst, und zu Zeiten sah man grosse Fuhren von Tüchern über die alte Adelbodenstrasse herunterkommen.

Das Tuch war gewöhnlich 55 cm breit und die Ballen 80 bis 100 Ellen lang (43 bis 54 Meter). Oft wurde statt der Wolle das Tuch gefärbt. Es wurde dann aber nicht so schön und galt auch nur Fr. 1.80 bis 1.90, während das in der Wolle gefärbte Fr. 2.50 galt. Auch das weisse, ungefärbte Tuch kam in den Handel. Es wurde oft für die Kästücher verwendet, die beim Käsesalzen gebraucht, und so auch von den Käsehändlern des Unterlandes gekauft wurden. Das ungefärbte Tuch galt Fr. 1.— bis 1.10.

Hatte die Weberin «es Wupp» fertig, so brachte sie es auf die Walke. Es gab «dri Walheni» im Dorf. Die wichtigste stand im Künzisteg. Dazu gehörte auch die Presse im Hause des Eigentümers beider Betriebe, des Chr. Müller. (Eine Presse steht heute im Jahr 2015 noch im Keller des Hauses Käsereigässli 6 – siehe Foto). Die Walkerhofstatt, von der späterhin die Rede sein wird, befand sich obenher dieses Hauses. «Uf d’Walhi» kam sowohl ganz Wollenes, das Frutigtuch, als auch der Halblein. Dort sollten die Tücher gereinigt, glatt und dicht werden.

Besonders tüchtig gewalkt wurde zwar nur der Halblein. Dieser wurde mehrfach in den muldenförmigen Trog übereinander gelegt. Heisses Wasser wurde darüber geleitet, während zwei mit Widerhaken versehene «Stempfei» taktmässig auf das Tuch niederfuhren, es Stetsfort hoben und wendeten und in beständiger Bewegung erhielten. Nach etwa zwei Stunden wurde das Tuch herausgenommen, die Falten ein wenig geglättet, von neuem zusammengelegt und in den Trog gebracht. So zu etwa zwei Malen. Ungefähr sechs Stunden im ganzen lag das Tuch im Trog. Es wurde so lange gewalkt, bis es soviel eingegangen war, dass es die geforderte Breite hatte. Auf der Walkerhofstatt wurde dann der Halblein in Rahmen gespannt und zu beiden Seiten mit Haken festgehalten, damit er sich glätte. Hier wurde er auch noch, besonders auf einer Seite, mit einer Art kleiner «Strichcharte» schon glatt gestrichen. Dann kam der Halblein in die Presse. Da wurde das Tuch tüchtig mit Wasser bespritzt, gefeuchtet, dann über Bretter gelegt, flache, eiserne, sehr heiss gemachte Stäbe kamen darauf, und es wurde so in der Hitze zwischen zwei Balken glatt gepresst (vgl. «Präss»).

Das Frutigtuch wurde nur einmal leicht gewalkt, nicht gepresst. Statt auf die Hofstatt kam es auf den Estrich. An langen Stangen sah man es dort zum Trocknen herausgehängt. Dann wurde es zu Ballen gerollt und erwartete den Händler. Nach der Massangabe des Walkers wurde das Stück verkauft.

Vom Frutigtuch konnte ums Jahr 1850 Pfarrer Schatzmann sagen, es sei ein Handgespinst, das bis dato in seiner Solidität und Brauchbarkeit durch kein Maschinentuch ersetzt werden könne, ein Fabrikat, das in seiner Art einzig sei in der Schweiz. In alle Gegenden des Kantons Bern nach Solothurn und Aargau, sogar ins Waadtland wurde es verkauft, nur wenig in die übrige Schweiz und beinahe nichts ins Ausland. Es wurde hauptsächlich zu Kitteln der Bäuerinnen verwendet. Es war so stark, dass es zwei bis drei Menschenalter standhielt. Dann konnte es vorkommen, dass es zurück in die Walke kam, dort wieder bearbeitet wurde und noch einmal einen neuen Rock gab. Es war also, alles in allem, ein dauerhaftes Tuch, wie man’s damals brauchte, und es war ein schönes Tuch. Konnte es nicht gerade dieses Tuch sein, das jenen Vers aufkommen liess?

«Bärn het di schönschti Chleidertracht,
wohl sälber gspunnen und sälber gemacht
vo finer Wullen und langem Chleid,
die Frouenzimmer in Ehrbarkeit.»

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts fing die Regierung an, die schönsten Stücke Frutigtuch durch Preise auszuzeichnen. Die Prämiierung fand im Frühling statt, in der Walkerhofstatt. Das Feinste von dem, was man den langen Winter hindurch gesponnen, kam hier buchstäblich «an die Sonnen». Für das schönste und beste Stück Frutigtuch wurden 8 Dukaten in Gold ausgesetzt, für das zweitbeste 6. Die Stücke mussten aber jedes wenigstens 60 Bern Ellen (32 Meter) lang und 1 1/6 Bern Ellen (60 cm) breit sein. (Eine genauere Beschreibung dieser Prämiierungen ist im Frutigbuch nachzulesen.)

Die Tuchschauen schienen sich also bewährt zu haben und wurden fortgesetzt. Für Prämien wurden im Jahr 1811 64 Pfund ausgegeben. Dieser Betrag steigerte sich bis zum Jahr 1817 auf 211 Pfund. Wahrscheinlich ging es aber später nicht in so erfreulichem Tempo weiter. Die Schafzucht nahm ab, minderwertige Wolle wurde aus dem Wallis eingeführt, die feilen Schafe mitsamt der Wolle ins Unterland verkauft. Tscharner schlug deshalb der Kommission vor, nicht mehr die Frutigtücher zu prämiieren, sondern die Frutigschafe. So sehen wir denn im Jahr 1856 einen Posten angegeben «für Tuch- und Schafzeichnung Fr. 380.—».

Nach Angaben des Tuchhändlers J. Schneider wurden zu Anfang des 19. Jahrhunderts jährlich ungefähr 90’000 Ellen (50’000 m) gewoben, die Elle durchschnittlich zu 10 Batzen verkauft, was also einen Betrag von Fr. 90’000.— ausmachte. «Hievon kommen ungefähr für die Wolle und den Farblohn die Hälfte hinweg, die andere Hälfte mag als Lohn der Arbeit übrig bleiben.

Auch die Summe von erster Hälfte geht nicht ganz aus dem Lande, indem wir zwei Färber hier haben, die wiederum ihren Verdienst davon nehmen, auch man wohl den dritten Teil Wolle von unsern Schafen bekommt.»

Noch für das Jahr 1837 wurde ungefähr die gleiche Menge aufgezeichnet.

Jeden Donnerstag kamen die Frauen in die Walke, wohin sie am Dienstag vorher ihre Tücher gebracht hatten. Da setzte der Handel mit den Tuchhändlern ein. Diese konnten die Stücke meist im grossen den Kaufleuten in Bern, Solothurn, Burgdorf usw. in gewichtigen Fuhren senden, oder sie brachten die Ballen selbst auf einem Karren nach Bern und hielten das Tuch dort in ihrem Laden feil, wie z.B. Jakob Trachsel aus dem Kandergrund.

Facturebuch von Gebr. Joh. Schneider. Versendungen von Frutigtuch. Im Namen Gottes Amen.

So wurde der Handel mit Frutigtuch zu Anfang des 19. Jahrhunderts immer blühender, eine stetig fliessende Quelle der Einnahmen für das Tal, das diesen Zuschuss zum Ertrag seiner Landwirtschaft mehr als nötig hatte. Aber es galt auch mehr als einmal, sich auf die Hintern zu stellen und sich für seine Handelsfreiheit und gegen unlautere Konkurrenz zu wehren. Schon im Jahr 1710 beklagte sich die Talschaft bei den gnädigen Herren, dass die Burgerschaft von Thun sie verhindere, auf ihren Märkten Tuch feil zu halten. Die Schafzucht, das «Spinnen und Tuchen» bringe ihnen oft mehr ein als das Halten von Grossvieh und gebe Geld zum Zinsen. Armut und Hunger würden die Folge sein, wenn durch Beschränkung des Tuchhandels dieser Erwerb ins Stocken gerate. Die Thuner hätten sich zwar anerboten, das Tuch anzukaufen, aber sie wollten nicht an den Willen der Stadt gebunden sein und bitten die Gnädigen, sie sollten dafür sorgen, dass ihnen «laut zuhanden habenden Freiheiten allerorten frei Verkauf» gewährt sei, «damit der arme Landmann desto eher ein Stück Brot gewinnen und seine Zinsen und Schulden (damit das Land sehr behaftet) bezahlen könne».

Nach den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts ging es mit dem Handel und mit der Herstellung der Frutigtücher sehr rasch abwärts. Die Gründe waren gewiss dieselben, wie sie 1788 Antoni Wittwer zu Faltschen der Ökonomischen Gesellschaft darlegte. Es war auch damals für diesen Erwerbszweig eine Zeit des Niedergangs gekommen, die dann aber, wohl dank der eingeführten Tuchschau und Prämiierung zu Anfang des folgenden Jahrhunderts einen kaum geahnten Aufschwung nehmen sollte. Dass aber das Verschwinden dieser Industrie zum Schluss des letzten Jahrhunderts ein endgültiges sein musste, verstehen wir Heutigen gut genug. Wer wünschte sich noch einen Rock, der drei Generationen aushält, wo wir fast unwillig werden, wenn ein Kleidchen länger als einen Sommer dauern zu wollen sich den Anschein gibt?

Das Frutigtuch wurde um 1800 von leichteren, farbigeren Stoffen verdrängt. Die Zahl der Schafe im Frutigland ging danach stark zurück.

Zeichnung einer alten Tuchpresse im Frutigbuch Ausgabe 1938. Sie trägt die Jahrzahl 1827 und befindet sich noch heute im Haus Walchi, Käsereigässli 6.

Alte Tuchpresse. Sie trägt die Jahrzahl 1827 und befindet sich im Haus Walchi, Käsereigässli 6.

Rekonstruktion des Frutigtuches

Von Käthi Steiner-Bernegger

Die Wiederherstellung dieses Tuches gestaltet sich ziemlich aufwendig und schwierig, zumal jegliches Originaltuch fehlt. Ich bin bei dieser Arbeit ganz auf die Lektüre im Frutigbuch (Kapitel Frutigtuch von Maria Lauber, S. 389–400) und meine eigene Spinn-, Web- und Färberfahrung angewiesen.Das Frutigtuch war in der Regel blau, mit Indigo gefärbt. Es bestand im Zettel und Schuss aus feiner handgesponnener Schafwolle. Meistens wurden für Zettel und Schuss die weissen, handgesponnenen Wollstrangen in der «Farb» gefärbt und nicht das Tuch als Ganzes. Aus Erfahrung weiss ich, dass Stückgefärbtes schlussendlich gerne irgendwelche farblichen Unregelmässigkeiten aufweist.Meine Wollstrangen kann ich zum Färben nicht in die «Farb» bringen. Ich muss das selbst tun. Färben mit Indigo ist faszinierend. Entnimmt man das Färbgut dem Kessel, ist es noch mehr oder weniger grün und wird erst blau, wenn es zur Oxidation aufgehängt wird.Das Frutigtuch war ca. 55 cm breit, wurde «drüträttig» und manchmal viertretig gewoben. «Aber durch dieses ,drüträttige’ Weben bekam das Frutigtuch gerade das, was es auszeichnete; es bekam ein Bild oder die ,Hurt’, diese feinen, schrägen Streifen, wie wir sie auch beim englischen Cheviot sehen.» (Frutigbuch, Kapitel Frutigtuch, Seite 290).

Käthis Steiner hat diesen Stoff nach Angaben aus dem Frutigtuch nachgewoben.

All diese Angaben und das Stücklein Cheviot in Bethli Stollers Stoffmüsterlisammlung, welche aus ihrer Schneiderinnenlehre stammt, ergeben, dass die Bindung des Frutigtuches nicht Leinenbindung – sondern eine gleichseitige Köperbindung war. Die Kettdichte (Faden pro cm) wird ermittelt, indem man das für die Kette vorgesehene Garn, in unserem Fall das handgesponnene feine Wollgarn, für die Köperbindung Faden an Faden ohne Zwischenraum über mindestens 1 cm um einen Massstab wickelt. Die Anzahl der gewickelten Fäden pro cm ergeben die Kettdichte. Fürs Frutigtuch sind dies etwa 14–16 Fäden pro cm.

Der Zettel (lange Längsfäden) oder «Warf» mit Faden- und Gangkreuz wird am Zettel- oder Schärbaum erstellt. Das Wort «Warf» habe ich zum ersten Mal in der Lesung von Luise Schranz aus dem Buch «Chünggold» gehört. Das Fadenkreuz bestimmt die exakte Reihenfolge der Kettfäden am Webstuhl. Das Gangkreuz ermöglicht das präzis geordnete Einziehen der Fäden in ein Riet (=Lücke) des Vorkammes.

Ein Riet enthält die Fäden pro cm. Der Vorkamm hilft, dass beim Aufrollen des Zettels die Breite eingehalten wird, sodass auf dem Streichbaum keine Wülste entstehen. Analog zur Bindung, bei uns der gleichseitige Köper, werden die Kettfäden des aufgebäumten Zettels in die Litzen der Schäfte und nachher in das dazu passende Blatt eingezogen und büschelweise am Stab des Warenbaumes befestigt.

Den nächsten Schritt, das «Bsengen» der Kette, wie er im Frutigbuch beschrieben wird, habe ich bei meinen Übungen bis jetzt wohlweislich unterlassen. Beim «Bsengen» versengt man die abstehenden Härchen der Kettfäden, indem man eine Kelle mit glühenden Kohlen unter der Kette durchführt.

Möglicher Einsatz von blauem Frutigtuch. Das Bild von Jean Preudhomme zeigt Franz Rudolf von Frisching.

Die Kette fürs Frutigtuch wurde früher mit «Mehlpapp» geschlichtet. «Mit einer Art Mehlpappe oder Stärke wurden mittels zweier Bürsten von unten und von oben die Zettelfäden bestrichen, damit sie schön glatt zum Weben kämen.» (Frutigbuch, Kapitel Frutigtuch, S. 390).

Ich werde meine Kette mit Tischler- oder Perlleimschlichte leimen und hoffe, dass die Kettfäden so beim Weben nicht andauernd reissen. Nur dann wird das Weben zum Höhepunkt des Tuchens.

Das Frutigtuch sei nur einmal leicht gewalkt und nicht gepresst worden. Da in Frutigen schon lange keine Walkereien mehr in Betrieb sind, konnte ich diesen Vorgang nie miterleben und zitiere daher Maria Lauber (Frutigbuch, S. 391). Sie beschreibt dort das Walken von Halblein: «Besonders tüchtig gewalkt wurde zwar nur der Halblein. Dieser wurde mehrfach in den muldenförmigen Trog übereinander gelegt. Heisses Wasser wurde darüber geleitet, während zwei mit Widerhaken versehene ,Stempfel’ taktmässig auf das Tuch niederfuhren, es stetsfort hoben und wendeten und in beständiger Bewegung erhielten. Nach etwa zwei Stunden wurde das Tuch herausgenommen, die Falten ein wenig geglättet, von neuem zusammengelegt und in den Trog gebracht. So zu etwa zwei Malen. Ungefähr sechs Stunden im ganzen lag das Tuch im Trog. Es wurde so lange gewalkt, bis es soviel eingegangen war, dass es die geforderte Breite hatte.»

Die Weber konnten ihr «Wupp» (=Stoffballen) in der Walke abholen. Das Frutigtuch wurde dann an einer langen Stange aus dem Estrichfenster gehängt. Das Walken wird heute oft durch Waschen mit dem Schonwaschgang und dem Dämpfen mit dem Dampfbügeleisen ersetzt.

Informationen

«Der Beobachter» herausgegeben von einer «Gesellschaft Gelehrter» von 1807 druckte im ersten Band einen Text mit «Notizen über die Wollfabrikation im Bernischen Oberland» – LINK (PDF)