Die Uhrenstein-Industrie

Die Bearbeitung von Uhrensteinen hatte in der Mitte des 20. Jahrhunderts in Frutigen eine beträchtliche wirtschaftliche Bedeutung, wie die Geschichte am Beispiel der Uhrensteinfabrik Brügger AG zeigt (Quelle: Firmenchronik 1887–1957).

Die Uhrensteinfabrik Brügger AG

Der spätere Gründer Jakob Brügger wurde 1848 bei Herzogenbuchsee geboren. Zusammen mit seiner zweiten Frau wohnte er in der «Gerbi» im Unterdorf von Frutigen und betrieb neben dem Coiffeurgeschäft eine Steindreherei mit fünf Arbeitern. Er suchte bald nach Möglichkeiten, seinen kleinen Betrieb auszubauen. Die Gelegenheit bot sich, als eine Zündholzfabrik und eine Tuchwalkerei im Künzisteg eingingen. Brügger kaufte die Walkerei, erneuerte die Wasserkraftanlage (Wuhrkanal) und baute ein Bohratelier für 15 Mitarbeiter. Er selber arbeitet aber weiterhin als Coiffeur.

Gesamtansicht der Uhrensteinfabrik Brügger AG um 1945

Der neue Betrieb im Künzisteg musste etliche Schwierigkeiten bewältigen: Bei Hochwasser der Engstlige war die Stromversorgung durch den Wuhrkanal nicht gesichert und morgens mussten oftmals die Maschinen aufgetaut werden. Eine industrielle Neuerung, die grosse Auswirkung auf das Bestehen der Firma hatte, war die Einrichtung der elektrischen Arbeitsplatzbeleuchtung. Die Anlage für 85 Kohlefadenlampen entwickelte Brügger sogar selber. Dadurch war es möglich, auch bei ungenügendem Tageslicht die Qualität und Quantität der Produkte zu gewährleisten.

Die zwei Söhne des Gründers, Jakob und Hans, wurden mit der Zeit in den Betrieb integriert. Jakob hatte Mechaniker gelernt und machte sich später einen Namen mit vielen nützlichen Eigenkonstruktionen. Diese kamen nicht nur in Vaters Firma zum Einsatz, er entwickelte auch Maschinen für die Zündholz-, Holzspan- und Schieferindustrie. Hans lernte bei seinem Vater Coiffeur, stieg aber nach Auslandaufenthalten auch in die Firma ein.

Um die Jahrhundertwende wurde auf dem Maschinenhaus eine Wohnung aufgebaut und die Familie zog um. Gleichzeitig wurde die eingegangene Zündholzfarbik gekauft. Zusätzlich wurde für die Grandissageabteilung ein neues Gebäude erstellt. Der erste Weltkrieg brachte grossen Aufschwung für die Firma, wurde aber vom Tod des Gründers überschattet. Hans, seit 1908 mit Lisette Trachsel verheiratet, übernahm den Betrieb. Neben dem Ausbau des langen Gebäudes wurden nochmals zwei neue erstellt.

Den grössten Aufschwung erlebte die „Fabrik“, wie sie im Volksmund genannt wurde, in den Jahren 1924 bis 1937. Die Zahl der Arbeiter stieg von 180 auf 331 – krisenbedingt war sie jedoch zwischen 1931-33 auf 20 abgesunken. Hans Brügger starb kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieg im Dezember 1939. Seine Frau Lisette übernahm zusammen mit der Tochter Henriette und den Söhnen Hans und Rudolf den Betrieb und führte ihn weiter.

Nach dem Jubiläumsjahr 1957 folgte im Januar 1958 eine schwere Krise in der Uhrenindustrie. Viele Uhrenhersteller waren verunsichert und brauchten ihre eigenen Reservebestände an Uhrensteinen auf. Dadurch bekam die Brügger AG nur noch spärlich Aufträge. Trotz ungewisser Zukunft wurden 1962 neue Bohrautomaten der Firma Meyer und Burger angeschafft, mit denen man auch die Arbeitsgänge Creucage und Bombé durchführen konnte. Durch die schlechte Arbeitslage war man gezwungen, die Arbeitsschritte zu rationalisieren.

Arbeit in der Uhrensteinfabrik im Künzisteg

Während einiger Jahre wurde im Wallis zusätzlich ein kleines Atelier mit 15 Arbeitern betrieben. Dort wurden hauptsächlich kleine Uhrensteine hergestellt, da man in Frutigen nicht mehr genug junge Arbeiter fand, die für diese Arbeit geeignet waren.

Durch das Aufkommen der elektronischen Uhren in den 1970er Jahren wurden die Uhrensteine nur noch in kleinen Mengen benötigt. Diese Tatsache und die Konjunkturkrise in der selben Zeit zwangen die Brügger AG 1972 schliesslich zur Betriebsschliessung.

Bis etwa 1985 wurde durch die Firma Rudolf Brügger AG (mit Sitz im Tessin) im Künzisteg Uhrensteine produziert. Dann wurden die Ateliers endgültig geschlossen. Heute ist in den ehemaligen Fabrikgebäuden das Ferienzentrum Künzisteg eingerichtet.

Das älteste Gebäude, die einstige Zündhölzlifabrik, brannte 2011 ab.

Wichtige Firmendaten

• 1887: Gründung der Firma Jakob Brügger in der Gerbi, Frutigen
• 1892: Betriebsverlegung in den Künzisteg. Beginn des Bohrens und Grandierens von Uhrensteinen
• 1917: Betriebsübernahme durch Hans Brügger. Einführung der halbautomatischen Grandiermaschine
• 1929: Bau des mittlerweile fünften Ateliers im Künzisteg
• 1930: Beginn des Rundschleifens
• 1933: Drehmaschinen des Typs. Jak. Brügger werden eingeführt
• 1938: Tod von Jakob Brügger
• 1939: Tod von Hans Brügger
• 1940: Einbau der neuen Wasserturbine mit 25 kW Leistung
• 1946: Einführung der elektrischen Arbeitsplatzbeleuchtung
• 1951: Gründung der Familien AG
• 1954: Neonbeleuchtung
• 1957: Einführung der 5-Tage-Woche
• 1972: Schliessung der Brügger AG
• 1985: Das endgültige Aus der Uhrensteinindustrie in Frutigen

Zahlreiche Kleinbetriebe

Viele Mitarbeitende nahmen das erlernte Wissen mit und gründeten eigene Betriebe in Frutigen und Umgebung. Rudolf Wandfluh arbeitete im Künzisteg in der technischen Abteilung, Gründete dann eine eigene mechanische Werkstätte, entwickelte und baute neue Maschinen und Apparate für die Uhrensteinbearbeitung. Später wurde aus diesem Betrieb die weltweit tätige Wandfluh AG.

Bearbeitungsstufen der Rubinsteine als Uhrensteine

1 Perçage: Bohren des Innendurchmessers
2 Grandissage: Präzises Ausschleifen der Innenbohrung
3 Verifiage: Schleifen der Aussenflächen
4 Tournage: Bearbeiten des Aussendurchmessers
5 Creucage: Ölwanne in der Innenbohrung herstellen
6 Bombé: Rundung am Aussendurchmesser herstellen

Uhrensteinmodell – das Original ist ca. 1 Millimeter gross

Uhrensteine, eingesetzt in einem Uhrenwerk

 

Information

Film der Uhrensteinfabrik Brügger AG
1957 feierte die Uhrensteinfabrik Brügger AG ihren 70. Geburtstag. Dabei wurden auch zwei Dokumentarfilme erstellt. Die Familien Brügger haben diese Originalfilme der Kulturgutstiftung Frutigland geschenkt. Daraus haben wir eine DVD zusammengestellt. Den Kommentar spricht Ruedi Müller-Brügger, der Schwiegersohn der damaligen Besitzerfamilie Hans und Marie Brügger-Sommer. Bestellung im KIOSK möglich.